Interview mit Harry Pearce

Harry Pearce ist Partner bei Pentagram in London. Das Interview mit ihm führte ich im Rahmen eines Forschungsprojektes zu britischer Grafik (siehe Buch). 2009 führte ich Interviews mit Kreativdirektoren in London.

Um 9 Uhr bin ich neben der Putzfrau die erste im großen Haus von Pentagram. Einige Minuten später trifft Harry Pearce ein, der sich entschuldigt, wieder einmal im Verkehr festgesteckt zu haben und anmerkt, dass er normalerweise früher als alle anderen anfange, wenn es noch ruhig ist.
Das Interview findet in einem kleinen Besprechungszimmer statt, wo bekannte Logos hängen, die von Pentagram gestaltet wurden.

 

Das Haus ist sehr beeindruckend.

HARRY PEARCE: Ja, hier spürt man noch den Geist der Vorgänger wie Alan Fletcher. Ich fühle mich verpflichtet, das Erbe so gut es geht weiter zu führen und mache das mit Freude.

 

Es gab eine Ausstellung in New York, bei der Britisches Design gefeiert wurde. Sie waren einer der Designer, die dafür ausgesucht wurden. Konnten Sie etwas Spezielles in den Arbeiten sehen, die dort ausgestellt wurden?

HP: Ich kann mich nicht an den Inhalt erinnern und war nicht dort, habe also nie die Show gesehen.

Ich zeige ihm das Buch. Zu Frost merkt Harry Pearce an, dass er jenen für einen wirklich englischen Designer hält.

 

Welche Bilder kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Britisches Design denken?

HP: Unter Vorbehalt, dass das sehr allgemein gesprochen ist: Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich den Anfang meiner Karriere; zentrierte Serifen-Schriften mit einer kleinen originellen Idee dabei wie bei The Partners, was ich aber nicht für gut halte. Es ist nur etwas, was ich damit verbinde. Es ist wie aus den 1970er/80er Jahren, aber das ist nur ein schreckliches Klischee.

 

Und an welche Designer denken sie?

HP: Derek Birdsall, John McConnell, David Hillman (er ist letztes Jahr in den Ruhestand gegangen), John Gorham, der schon gestorben ist, aber ein echter englischer Designer war.

 

Was Letterpress angeht und dass es an Unis gelehrt wird: Denken Sie, dass das ein wichtiger Punkt ist oder nur eine Mode?

HP: Was Letterpress betrifft, so kommt und geht es. Es gibt handgemachtes Design in den Staaten. Wenn man die letzten 10 Jahre dort betrachtet, so bemerkt man überall handgeschriebene Schrift, die übers Ufer kommt. Ich habe auch davon Gebrauch gemacht – jeder kann es. All diese Dinge kommen und gehen. Also ist es eine Art Mode. Ich denke, was es Englisch macht, ist die Kultur, die auf Handwerk gründet. Es gibt viele handgemachte Dinge – schon immer. Es ist also beides: Mode und unsere „Arts-and-Crafts“-Kultur; wir sind mit der „Arts-and-Crafts“-Bewegung groß geworden.

 

Ich denke da auch an die Shops, dessen Schilder immer noch handgemalt sind.

HP: Richtig.

 

Welchen Einfluss hatte Amerikanisches und Schweizer Design auf Britisches Design?

HP: Für mich kann ich sagen, ein großer Teil meiner Arbeit ist mehr schweizerisch durch Leute wie Weingart geprägt. Meine Schrift ist mehr schweizerisch als englisch geformt. Also ist es ein großer Einfluss für mich. 8vo macht schönes Design und ist sehr schweizerisch. Ich denke, es gibt viel amerikanischen Einfluss. Ich habe vor einigen Jahren mit Domenic [Lippa] als Partner zusammengearbeitet. Sein Vater ist Amerikaner und Dom hat somit diesen großen Einfluss.
Im Laufe der Jahrhunderte ließen sich hier viele Menschen nieder, Einfluss kommt aus aller Welt. Es ist ein reichhaltiger Eintopf aus Schweizer und Amerikaner – alle Ursprünge mit drin.

 

Ich habe kürzlich ein Buch mit der Arbeit von Karl Gerstner in der Hand gehabt. Seine Schrift drückt wörtlich den Inhalt ab bzw. illustriert die Botschaft.

Ich zeige ihm Arbeiten im Buch, die mich daran erinnern. 

HP: Man könnte sagen, dass das auf eine Weise sehr britisch ist. Weißt du, UNA, die fantastische Dinge machen, arbeiten hier in Großbritannien. Also ist es eine Kreuzung. Alles.

 

Denken Sie, dass Britisches Design einen gewissen Einfluss auf andere Länder hat oder steht es für sich selbst?

HP: Ich habe kürzlich ein Award-Buch über Grafikdesign aus Spanien gesehen. Es war wie eine Wiederholung von Britischem Design der letzten zehn Jahre. Ich hoffe, dass Britisches Design so viel Einfluss hat wie es sich selbst beeinflusst. Es sollte alles aus einer Mischung von Kulturen usw. sein. Es ist interessant Designer wie Luke Hayman zu sehen, die sich leicht zwischen englischem und US-Design bewegen.

 

Inwiefern ist die visuelle Sprache in Großbritannien durch den kulturellen Hintergrund geprägt?

HP: Nun, es ist überspült mit vielschichtigen Einflüssen. Es war immer eine Insel, auf die alle Welt geströmt ist und man kann es quer durch die Epochen sehen. Umso mehr Zeit vergeht, umso reichhaltiger ist der Eintopf. Es ist fantastisch das zu beobachten! Die Idee ist in hohem Maße König über den Stil in Großbritannien. Gott sei Dank laufen die zwei zusammen. Ein Beispiel: Savilles Arbeit zeigt Einflüsse aus aller Welt; eine delikate Mischung aus vielen Kulturen.

 

Glauben Sie, dass es möglich ist, Britisches Design in Kategorien zu stecken?

HP: Ich würde es in Jahrzehnten machen. Ich habe für dich einige Notizen gemacht.

Er übergibt mir seine Stichpunkte von den 1960ern bis heute.

 

Was Pentagram betrifft, denken Sie, dass der Geist der Gründer hier immer noch wirkt?

HP: Das Gebäude hat sich nie verändert. Wir wollen es nicht verändern. Der Geist ist immer noch hier – absolut. Die Partner sind sich dem sicher sehr bewusst.
Ich war ein guter Freund von Alan Fletcher und ich fühle eine Art Pflicht weiter zu machen, seine Vortrefflichkeit anzustreben. Alans Arbeit ist von äußerst zeitloser Qualität. Sie ist voll von wundervollen Ideen und Ideen währen für immer. Mode tut das nicht.
Es ist eine Art Reise, auch mit dem Gebäude. Es der nächsten Generation zu überlassen.

 

Wie lange sind sie schon hier?

HP: Zweieinhalb Jahre jetzt. Ich habe mich also gerade erst niedergelassen, ich bin ein neuer Junge.

 

Wir schauen uns Arbeiten von ihm an.

 

Um auf die „conundrums“ [Scherzfragen, Buch von Harry Pearce] zu sprechen zu kommen, ihr privates Vergnügen…, kann man sie als britisch bezeichnen?

HP: Es sind Wortspiele, mit denen ich mich lange Zeit beschäftigt habe. Es kam durch eine Arbeit an einem Poster. Was ich gemacht habe war ein kleiner Scherz vor zehn Jahren. Es gab einiges Interesse daran: Alan Flechter hat es geliebt und wollte ein Buch davon machen, aber dann starb er und ich habe die Lust verloren.
Letztes Jahr habe ich für Pentagram die Weihnachtskarten gestaltet, die einige davon beinhalteten und noch andere Dinge. Saks Fifth Avenue hat die Weihnachtskarten verkauft und wollte nochmal hundert davon, die mit in einem Katalog zu Weihnachten erschienen. Jetzt hat Harper Collins in Amerika ein Buch damit gestaltet, das bald veröffentlicht wird.

 

Die „conundrums“, wie sie als Arbeiten zusammengestellt sind, erinnern mich an Vinces frühere Website.

HP: Aber das entstand lange vor Vinces Website. Deine Frage, danach, ob sie englisch seien…

 

Ja, wie würden Sie sich fühlen, wenn sie gesagt bekämen, dass diese Arbeiten sehr britisch seien; würden sie in gewisser Hinsicht beleidigt sein oder wäre es ein Kompliment für Sie?

Als ich in den 1970er Jahren aufgewachsen bin gab es diese großen Komiker wie Edward Lear, Spike Milligan, Peter Cook, Goons und Monty Python. Das war eine große Sache als ich ein Teenager war. Ich war voll von Dada, Surrealismus, Nonsense, Verrücktheiten. Es vermittelt durch Worte. Es ist nur Spaß. Ich bin glücklich darüber, dass es eigentümlich Englisch ist. Bilder als Worte und andersherum – es ist ein eigener Impuls.
Speziell mit der englischen Sprache wurde immer gespielt und sie wurde manipuliert. Ich kenne das in keinen anderen Sprachen. Es passiert an vielen Orten, wie jetzt die Sprache der Straße, die urban, schwarz-kulturell ist. Es ist wie eine andere Sprache. Es wächst, reichert sich an. Es wird todschick, sehr rau, wie östliches London-Slang. Zu den Conundrums: Visuell betrachtet ist es nichts archetypisch Britisches.

 

In Deutschland würde man sich vielleicht fragen, worin da der Sinn liegt.

HP: Das ist es gerade: Nonsense. Es ist ein großes Vergnügen.

 

Wo sehen Sie Ihre Design-Wurzeln?

HP: Meine Ursprünge sind gemischt: ein tiefes typografischer Rückrat, die Liebe zur Schweizer Schule; Jan Tschichold, Alexey Brodovitch, DADA, Surrealismus, die USA sind auf jeden Fall dabei.
Ich glaube nicht, dass ich besonders auf die britische Schule geschaut habe, außer Fletcher und John McConnell, die beides waren: Freund und Mentor.

 

Können Sie sagen, ob die Finanzkrise auch Einfluss auf die Designbranche in Großbritannien hat?

HP: Bis jetzt nicht. Allgemein verlieren die Leute ihre Arbeit. Wenn man zurückschaut werden wir den Verlauf sehen, da bin ich mir sicher.

 

Sie haben viele soziale Projekte gemacht.

HP: Ja, viele: mit Peter Gabriel an „witness“ (Organisation, die Menschenrechte vertritt, visuelle Identity von Pentagram). Das ist ein großer Teil meines Lebens. Ich betreue viele Internationale Projekte, zum Beispiel „witness“ in New York.
Ich lebe in der Tat ein kreatives Leben. Es ist ein solches Privileg davon zu leben; die ganze Zeit kreativ zu sein. Und dieses Privileg zu haben bedeutet, es seiner Kultur schuldig zu sein, die Kultur zu erheben – also als Grafikdesigner, alles Kreative gedeihen zu lassen. Es ist meine Welt, alles, was du tust, zählt. Es ist wichtig, sich zu kümmern.

 

Nach Harry Pearce interviewte ich noch Pentagram-Partner Angus Hyland.

„Britisches Design ist ein reichhaltiger Eintopf.“

Harry Pearce, Partner bei Pentagram, London

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über Harry Pearce
Von 1990 bis 2006 führte Pearce zusammen mit Domenic Lippa das Designstudio Lippa Pearce. Seit 2006 arbeiten beide als Partner bei Pentagram.
Die Arbeiten von Harry Pearce bewegen sich in verschiedenen gestalterischen Disziplinen – dazu gehören als Schwerpunkte das räumliche Design, Verpackungs- und Printdesign sowie klassisches Corporate Design. Zu seinen Kunden zählen unter anderem der Kunstbuchverlag Phaidon, das Formel-1-Rennteam Williams F1, das Modeunternehmen Kangol und das Shakespeare Globe Theater. Zu seinen bekanntesten Corporate Identity Projekten zählen zudem seine Arbeiten für die Unternehmen Halfords und The Co-operative.
Harry Pearce engagiert sich seit Jahren für Menschenrechte. Während der letzten acht Jahre hat er das gesamte Design für die internationale Menschenrechtsorganisation Witness gestaltet und gehört zum Beratungsstab.
Er gehörte zu den wenigen Designern, deren Arbeiten in der „Show of Excellence“ zu britischem Design in New York gezeigt wurden. Seine Arbeiten wurden auch bei der 50-jährigen Jubiläumsausstellung der AGI in Paris ausgestellt, in welcher er Mitglied ist.

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Bilder
1) Harry Pearce
2) Branding / Beschilderung für Launchpad, London Science Museum, 2008
3) Poster der Serie „Children at War“ für Witness, 2001
4) Poster, Typografische „Conundrums“, 2001
5) Gestaltung des Dana Centre für London Science Museum, ca. 2003
6) Branding / Verpackung für The Boots Company, 2002

www.pentagram.com

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EDITORIAL, WORTE