Wir haben nach sich überschneidenden Ansätzen bei englischen Gestaltungsarbeiten gesucht.
THOMAS MANSS: Sowohl Schweizer als auch Holländisches Grafikdesign ist eine stilistische Schule. Eine solche stilistische Schule gibt es in meinen Augen in England nicht. Hier kommen und gehen Stile. Hier [in England] wird viel Mode gemacht. In der Schweiz gibt es keine Mode, da gibt es den rechten Winkel. In Holland gibt es eigentlich auch keine Mode. Dort ist es die Rebellion gegen den rechten Winkel. Hier gibt es eine Idee und die Idee wird dann typografisch so dargestellt, damit die Idee erhalten bleibt. Da kann man nicht mit einem rechtwinkligen oder nicht rechtwinkligen Stil drüberbügeln. Deshalb war eure Aufgabe eigentlich unmöglich, wenn man das stilistisch betrachtet. Aber es ist insgesamt, denke ich, auch die interessanteste Aufgabe, weil, wenn man sich wirklich damit auseinandersetzt, viele Ideen zum Vorschein kommen; ob das Witz ist oder ob das Geschichten sind, die erzählt werden. Typo ist im Prinzip nur das Vokabular für diese Ideen. Es gibt aber keine englische Typo-Schule, es gab immer mal Mini-Typo-Schulen, wie die Neville Brody-Schule des Magazindesigns, aber die ging genauso schnell, wie sie gekommen war. So war es mit den meisten Typo-Schulen.
Es gibt extreme Typografen wie Phil Bains, die eigentlich nur typografisch arbeiten und Schriften entwerfen.
Die meisten [der hier abgebildeten] Projekte leben von einer Idee.
Ist es experimenteller als in der Schweiz und in Holland?
TM: Ich glaube nicht, dass es um Experiment geht; Es geht einfach darum, dass ich, wenn ich eine Idee darstellen will, zu ganz anderen Ergebnissen komme, wenn der Ausgangspunkt die Idee ist und nicht ein wie auch immer ausgearteter Stil.
Wir legen Thomas Manns eine Auswahl an grafischen Arbeiten aus GB vor und fragten ihn nach seinem Eindruck.
TM: Peter Saville, ein Ober-Stilist, hat sehr viele stilistische Sprachen gesprochen. Er hat ein unheimlich reiches Vokabular.
Desweiteren macht Thomas Manss folgende Feststellungen:
• Gewisse Arbeiten unterscheiden sich vom gestalterischen Ansatz nicht stark voneinander, obwohl 20 bis 30 Jahre dazwischen liegen.
• Alan Kitching ist eigentlich Drucker, kommt nicht aus der Idee sondern aus dem Stil, und zwar aus der Letterpress-Geschichte.
• BIG Motiv: Vince Frost hat bei Alan Kitching Letterpress-Kurse belegt. Er hat im Prinzip schon ganz früh Letterpress als seinen Haustil definiert.
• Viele andere wie Hillman, Fletcher, Forbes sind „Ideen-Männer“.
• Johnston Banks ist ein Pentagram-Nachfolger.
• Jonathan Barnbrook ist ein totaler Antidot. Er ist ein Stilrebell.
TM: Daran kann man ja sehen, dass da nicht wirklich eine einheiltliche stilistische Sprache vorhanden ist. Von daher denke ich, dass es hier eine inhaltliche, ideelle und stilistische Vielfalt gibt, wie man sie sonst in keinem anderen Land in Europa findet; man könnte schon fast sagen in der Welt.
Er geht einige Design-Metropolen durch. Barcelona bezeichnet er als „schmal-spurig“, d.h. nicht so vielfältig, und in New York gebe es ein ähnliches Treiben wie in England.
Haben englische Designer internationale Einflüsse erst aufgesaugt und dann daraus einen eigenen Stil entwickelt?
TM: Das glaube ich nicht. In meinen Augen gibt es keinen englischen Stil. Es gibt Ideen, die werden dann immer so umgesetzt, dass die Idee auch erhalten bleibt.
Vince [Frost] hat seinen eigenen Stil entwickelt, nämlich Letterpress. Für den er so bekannt geworden ist.
In Exeter habe ich feststellen können, dass auch viel Wert auf Letterpress und das Handwerkliche im Allgemeinen gelegt wird. Bei uns in Mainz ist das weniger der Fall, obwohl auch die Einrichtungen vorhanden sind. Ich denke, es ist ein Phänomen Englands, dass dort Handwerk noch gelehrt wird.
TM: Das ist Teil des Vokabulars; es ist ein formales Vokabular. Was sich ja immer widersprechen kann.
Was Literatur betrifft, kann man erkennen, dass man Schriftstücke, die vor hundert Jahren verfasst worden sind, heute immer noch lesen kann. Und warum soll das im Design anders sein? Im Design beschränkt sich dann ein ganzes Land auf den rechten Winkel. In einem anderen Land darf man dann auf gar keinen Fall einen rechten Winkel verwenden, nicht mal mehr bei Gebäuden, wo es doch sehr sinnvoll wäre. Das geht ja zurück auf den Modernismus. Wenn ich mir so Bauhaus anschaue: Das war ja eine große Idee, eigentlich eine soziale Idee. Der industrielle Ablauf, der Produktionsprozess, hat ja bei denen nie stattgefunden. Das war ja alles Handwerk. Es war eine große Idee, die dann in der Nachkriegszeit zum Stil geworden ist. Modern waren Schriften ohne Füßchen, ohne jegliche Dekoration.
Ähnliches ist dann in der Schweiz passiert – in Form einer Stilisierung der Gradlinigkeit.
Holland dagegen gilt als Antidot zum etablierten Schweizer Design. Es werden Plakate gestaltet, auf denen man sich nicht zurecht findet. Die Schweizer sagen, ich muss innerhalb von einer Sekunde wissen, um was es geht. Die Holländer sagen, ich muss die Leute in der ersten Sekunde so anziehen oder so durcheinander bringen, dass sie wissen wollen, um was es geht.
Hier gibt es eine Tradition. Neville Brody arbeitet nicht ideenbasiert. Jonathan Barnbrook ist nur in der Hinsicht nicht ideenbasierend, als dass er eine Idee mit möglichst wenigen Stilelementen umsetzt und wie Brody zum Beispiel oft Fun-Fonts, das heißt Schriften aus der Reihe der „Abfall-Gruppe“, nämlich der Antiqua-Varianten, benutzt und sogar selbst gestaltet.
Sehr viele Dinge, die hier gemacht werden, basieren auf einem cleveren Gedanken, einer kleinen Entdeckung. Man guckt es nicht an und denkt „es ist schön“, sondern denkt „clever“.
Wir haben das britische Design in drei Kategorien gegliedert, und zwar handgemacht, illustrativ und intellektuell. Diese Begriffe spielen nicht in einer Liga.
TM: Das Illustrative kann ja auch eine Idee haben und das Handwerkliche ebenfalls. Ich denke, wenn man über englisches Design redet, muss man mit formalen Kategorien sehr vorsichtig sein.
Wir haben Arbeiten gefunden, bei denen es gemeinsame Merkmale gibt. Zum Beispiel werden Zeichen durch andere Zeichen ersetzt oder ein Zeichen durch ein Objekt wie es derzeitig ja auch bei den Werbeplakaten von O2 in London zu sehen ist.
TM: Das ist eine visuelle Kultur, die in Deutschland nicht so verbreitet ist. Deswegen kommen die Leute damit auch nicht so klar.
Er zeigt auf einige der ausliegenden Arbeiten.
TM: Hier sind kleine Wortspiele zu sehen.
Manns skizziert ein Beispiel auf.
TM: Das ist Teil der täglichen Kultur; nicht ein Witz der erklärungsbedürftig ist. Ich, der Designer, kann diese visuellen Witze benutzen, weil es Teil des normalen Vokabulars ist; nicht nur des Design-Vokabulars. Insofern ist es auch viel einfacher.
Er erzählt von seiner Arbeit in England und in Deutschland. Manss beschreibt unter anderem, dass er von deutschen Kunden Aufträge erhält, da er für den verrückten Engländer gehalten wird.
TM: Deutsches Grafikdesign fängt immer mit einem Raster an, der Schriftenauswahl und typografischen Regeln. Aber das ist letztendlich irrelevant. Aus einem Raster wird sich nie ein inhaltlicher Hausstil ableiten lassen; das sind immer formale Diskussionen.
Wir sind schließlich auch noch einmal auf eine Reihe von Beispielen eingegangen, die wir zusammengestellt hatten.
Es handelt sich ja hierbei schon um Inszenierung.
TM: Ja!
Eine Inszenierung der Idee.
TM: Handwerk dient der Inszenierung der Idee. Das bringt es sehr schön zum Ausdruck. Das Briefing (mit den Beispielen Schweiz und Holland), das an euch herangetragen wurde, führte euch in eine Sackgasse. England funktioniert so nicht. Aus der Unterhaltung heute höre ich noch heraus, dass ihr nach formalen Dingen sucht. Das ist ein Problem. Vergesst das! Das einzige Übergreifende ist in meinen Augen, was man von englischen Design sagen kann: Englisches Design erzählt Geschichten, englisches Design erzählt Witze, traurige Geschichten etc. Deshalb greifen diese formalen Kriterien nicht.
Weitere Interview-Partner der Reihe: Harry Pearce, Angus Hyland und Oliver Maltby